Im März 2021 begann der fahrradfreundliche Umbau des Ost- und des Schwanenwalls um die Radverbindung auf dem Wall zu verbessern, die Lücken im Radverkehrsnetz zu schließen und Mängel in der Trassenführung zu beheben. Die Arbeiten finden auf geschichtsträchtigem Boden statt, weshalb die Denkmalbehörde eine archäologische Begleitung für die Erdarbeiten forderte. Im Vorfeld der Baumaßnahme wurde in enger Absprache zwischen den Beteiligen die Lage der unterschiedlichen Kanaltrassen derart geplant, dass diese nicht mit der Mauer der mittelalterlichen Stadtbefestigung kollidierten. Grundlage hierfür bildete das uns bis dahin bekannte Bild des Befestigungswerkes.
Neuer Fund tauchte vorher nicht in Karten auf
Im Zuge der Neuverlegung einer Abwasserleitung auf dem Schwanenwall wurden jüngst durch die Fachleute der Firma Archäologen Linnemann, Quenders und Partner dennoch bisher unbekannte Elemente der Stadtbefestigung dokumentiert. Dabei handelt es sich um massive Strebpfeiler aus Ruhrsandstein, die bisher in keinem Kartenwerk vermerkt sind. Auch von keiner anderen Stelle der mittelalterlichen Stadtmauer sind vergleichbare Pfeiler nachgewiesen worden, die das Vorhandensein solcher Elemente nahelegen würde. Diese Pfeiler waren stadtauswärts vor die Stadtmauer gesetzt und dienten der Stabilisierung oder dem Abstützen der zweischaligen Mauer. Doch wieso musste die bis zu zwei Meter breite und etwa acht bis neun Meter hohe Mauer zusätzlich gesichert werden? War das Gelände, auf dem die Mauer gegründet wurde, womöglich nicht tragfähig genug oder fand nach und nach eine „Aufweichung“ des Bodens durch eine nordwärts verlaufende Entwässerung statt, die diese Sicherungsmaßnahmen an der Stadtmauer im Bereich des Schwanenwalls notwendig machten?
Bis zu 400 Kilo schwere Steinblöcke
Klar ist, es handelt sich bei den Steinquadern nicht um Baumaterial welches zweitverwendet wurde und womöglich zuvor in einem anderen Bauwerk bereits verbaut worden war. Die einzelnen sehr massiven Steinblöcke wiegen teilweise mehr als 300 bis 400 Kilogramm und wurden extra für die Strebpfeiler angefertigt. Das belegen unterschiedliche Versatz- oder Steinmetzzeichen, die sorgfältig in die einzelnen Steine eingeschlagen worden waren.
Versatzmarken hatten eine rein bautechnisch orientierte Aufgabe und dienten der Kennzeichnung zusammengehöriger Steine, die passgenau aufeinander zugearbeitet waren. Bei den Steinmetzmarken hingegen handelt es sich um Marken, die der Abrechnung sowie der Kontrolle und Sicherung der Qualität der Ausführung dienten und die ein jeder Steinmetz daher in sein fertig gestelltes Objekt schlug um dieses als sein Werk zu kennzeichnen. Die Zeichen der Steinmetze könnten beweisen, dass gleich mehrere Steinbrüche als Lieferanten für den Pfeilerbau dienten und unterschiedliche Steinmetz(-meister) an dem Bau der zwei Strebpfeiler beteiligt waren. Auffällig ist, dass sich die Zeichen jeweils auf benachbarten Steinquadern gleichen. Handelt es sich also in der Tat um „einfache“ Versatzmarken oder wurden identische Bauteile in serieller Herstellung durch unterschiedliche Steinmetzhütten hergestellt?
So werden die Funde jetzt datiert
Aufgrund der Aktualität und Singularität der Funde können die Versatzmarken bzw. Marken der Steinmetze zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht weiter bestimmt und die Strebpfeiler noch nicht in einen genaueren Kontext gesetzt werden. Neben der nachfolgenden Recherche, in der die Signaturen der Steinmetze mit anderen Marken verglichen werden um anhand des Stils eine zeitliche Einordnung vornehmen zu können, werden auch naturwissenschaftliches Analysen an Organikproben vorgenommen, die in und unter den Pfeilern geborgen wurden. Mit Hilfe der sogenannten 14C-Datierung wird es möglich sein, den Zeitpunkt der Errichtung der Pfeiler zu ermitteln.
Strebpfeiler bleiben erhalten
Trotz der gemeinsamen Planung im Vorfeld wurden mit den zwei Strebpfeilern des mittelalterlichen Befestigungswerkes archäologische Befunde freigelegt, die im geplanten Verlauf des Abwasserkanals liegen. In enger Abstimmung zwischen der Denkmalbehörde und dem Tiefbauamt und dank der Zusammenarbeit zwischen den Fachleuten der Firma Archäologen Linnemann, Quenders und Partner und dem Tiefbauunternehmen Kramer Straßen- und Ingenieurbau Dortmund GmbH + Co KG können die mächtigen Strebpfeiler dennoch erhalten bleiben. Denn bereits nach dem ersten Pfeilerfund hatte man sich dazu entschieden ein weiteres größeres Stück der geplanten Trasse im Vorfeld zu öffnen um auf diesem Weg eine Planungssicherheit zu erzielen. So war es möglich, nach dem Auffinden des zweiten Pfeilers, den Abwasserkanal um die einzigartigen Relikte herumzuführen, ohne dass bereits verlegte Teile der Leitung wieder entnommen und kostenintensiv neuverlegt werden müssen.